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Diskussion unter Polizeischutz Briefe ohne Absender: Juden in Halle in Angst

Bei einer Podiumsdiskussion im Stadthaus am Abend des sechsten Jahrestages des Anschlags wird die Situation für jüdische Menschen in Halle als alarmierend beschrieben. Warum der Antisemitismusbeauftragte des Landes nicht klatschte und was dennoch Hoffnung gibt.

Von Denny KleindienstAktualisiert: 10.10.2025, 15:18

Halle (Saale)/MZ. – Dieses Video, das gleich zu Beginn der Veranstaltung im Stadthaus am Donnerstagabend – und damit am Abend des sechsten Jahrestages des Anschlags von Halle – gezeigt wurde, war eine Abrechnung. Und zwar mit Hunderten Künstlern, die in einem offenen Brief wegen der katastrophalen Lage im Gazastreifen von der Bundesregierung mehr Druck auf Israels Regierung gefordert hatten.

Die Schauspielerin und Journalistin Sarah Maria Sander nannte den Brief in ihrem Video „eine moralische Bankrotterklärung“. Sie sagte: „Es ist jetzt Mode, gegen Israel zu sein.“ Und sie warf den Unterzeichnern vor, sich nicht auszukennen.

Privorozki fragt sich, ob Jüdische Gemeinde in Halle eine Zukunft hat

Ihre Teilnahme am Podiumsgespräch in Halle musste Sander kurzfristig absagen. Für sie sprang Max Privorozki, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Halle, ein, um zusammen mit dem Psychologen und Autor Ahmad Mansour über die antisemitische Mobilisierung zu reden. Auch sie sprachen von einer alarmierenden Lage. Deutlich wurde das allein schon durch die massive Polizeipräsenz im Stadthaus.

Das Stadthaus war bis zum letzten Stuhl gefüllt. Das Interesse an der Podiumsdiskussion war groß.

„In Europa riecht es wieder nach Rauch. Es ist der Rauch eines alten Feuers, das nie ganz erloschen ist“, sagte Privorozki. Und: „Es ist der alte Antisemitismus, der heute ein ,Free Palestina‘-Schild trägt.“ Er erzählte, dass die Jüdische Gemeinde Briefe an Mitglieder inzwischen ohne Angabe des Absenders verschickt, weil diese darum gebeten haben.

„Die Leute haben Angst. Ich habe auch Angst.“ Und auch wenn Privorozki bemüht war, einen optimistischen Ton anzuschlagen, sprach er doch von seinen Zweifeln, ob die Jüdische Gemeinde in Halle, die Jüdischen Gemeinden in Europa eine Zukunft haben.

Der Wunsch, dass es Israel nicht mehr gibt

Nach Ansicht von Ahmad Mansour steckt hinter der Forderung nach einem freien Palästina vielfach der Wunsch, dass es Israel nicht mehr gibt. Nach dem 7. Oktober 2023, dem Terrorangriff der Hamas auf Israel, habe dann „linke Identitätspolitik“ dem Antisemitismus einen Schub gegeben, so Mansour. Es mache ihm Sorge, welche Netzwerke sich da entwickelt haben und wie erfolgreich sie Kampagnen führen.

Kritik an der israelischen Politik ließ Mansour zumindest anklingen. Es sei nicht richtig, wie Israel in den letzten Monaten den Krieg in Gaza geführt habe. Mansour sprach sich für einen „Weg der Versöhnung aus“.

Antisemitismusbeauftragter spricht von bitteren Wahrheiten

Mansour, der selbst arabisch-palästinensischer Herkunft ist und die israelische sowie die deutsche Staatsbürgerschaft hat, bekam viel Applaus im Stadthaus. Wolfgang Schneiß, Sachsen-Anhalts Antisemitismusbeauftrager, klatschte nicht mit. „Es sind bittere Wahrheiten, die Sie uns sagen“, erklärte er stattdessen. Und er fragte Mansour, wie diese Versöhnung aussehen könnte.

Menschen in Kontakt zu bringen, hält Mansour für wesentlich. Sie müssten gar nicht einer Meinung sein. „Demokratie ist auch Streit. Toleranz heißt Aushalten.“ Was es aber brauche, sei Empathie, so Mansour.

Lehrerin: Ich kann meinen jüdischen Glauben nicht offen zeigen

Zu Wort meldete sich auch eine hallesche Grundschullehrerin. In ihrer Klasse habe sie Schüler, die 14 verschiedene Sprachen sprechen. Ihren jüdischen Glauben könne sie in der Schule nicht offen zeigen, sagte sie. Womit sie aber nicht gerechnet hat und was ihr Hoffnung gibt: Nach dem 7. Oktober habe die Familie ihres syrischen Friseurs – von dem sie dachte, er weiß nicht, dass sie Jüdin ist – angerufen und gefragt, wie es ihrer Familie geht.

Moderatorin Anja Worm sagte noch, dass die Veranstaltung in der Kunsthochschule Burg Giebichenstein, gegen die nach der diesjährigen Jahresausstellung ebenfalls Antisemitismusvorwürfe erhoben wurden, stattfinden sollte. Was aber nicht geklappt habe.

Kunsthochschule wurde für die Veranstaltung angefragt

Die Burg bestätigt eine solche Anfrage gegenüber der MZ. Sprecherin Brigitte Beiling erklärt: „Die Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle stellt gemäß ihrer internen Regelungen grundsätzlich keine Räumlichkeiten für öffentliche Veranstaltungen externer Organisationen, Parteien oder religiöser Vereinigungen zur Verfügung.“

Jedoch setze sich die Hochschule „in Lehre, Forschung und Hochschulöffentlichkeit ausdrücklich mit gesellschaftlichen Themen wie Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung auseinander und steht für eine offene, respektvolle und diskriminierungsfreie Diskussionskultur“.

https://www.mz.de/lokal/halle-saale/juden-in-angst-diskussion-unter-massivem-polizeischutz-im-stadthaus-halle-das-problem-heisst-antisemitismus-4129493